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aus der Märkischen Oderzeitung vom 27.11.2008:
„Er brummt nicht, er surrt”
Von der Energiedebatte im öffentlichen Nahverkehr könnte auch der O-Bus profitieren
Seit ganz Deutschland über den Klimawandel redet, ist auch im Öffentlichen Nahverkehr nichts mehr wie es war: Frankfurt (Oder) setzt auf Erdgas als Kraftstoff für Busse, anderorts diskutiert man über Hybridantrieb und Brennstoffzellen. Nur die Eberswalder machen, was sie seit 68 Jahren machen: Sie fahren O-Bus - und sind damit
plötzlich wieder modern.
Von Luise Strothmann
Eberswalde (MOZ) „Ich mach mal Schluss, die Strippe kommt.” Der dunkelhaarige Junge mit dem Basecap und den weiten Jeans klappt sein Handy zusammen und lässt es in die Tasche gleiten. Der Bus kommt. Beim Einbiegen in die Haltebucht stellen sich die beiden Stangen, die auf dem Busdach verankert sind, schräg. Sie halten den Kontakt zur Oberleitung und versorgen so den Bus mit elektrischer Energie. Auf den Hauptlinien von Eberswalde fahren die Stadtbusse nicht mit Diesel. Die brandenburgische Stadt ist neben Solingen und Esslingen die einzige, die noch über ein O-Bus-Netz verfügt.
O-Bus steht für Oberleitungsomnibus - vom Prinzip her eine Mischung aus Straßenbahn und Omnibus. Er sieht aus wie ein Bus, wird aber wie eine Straßenbahn durch eine Oberleitung mit Strom versorgt und elektrisch angetrieben. Seit 1940 können sich die Eberswalder so durch ihre Stadt bewegen.
Hundert Mal im Jahr benutzt jeder Einwohner der Stadt im Durchschnitt den O-Bus. Einige Male davon sitzt wahrscheinlich Hartmut Bülow hinterm Steuer. Bülow ist seit 1995 O-Bus-Fahrer. Heute lenkt er den Bus Nummer 33 auf der Linie 861 Richtung Nordend. Der 52-Jährige mit der Lesebrille und den kurz gestutzten, grauen Bart fährt deutlich lieber O-Bus als Dieselbus: „Der O-Bus ist wesentlich leiser, sowohl außen als auch innen. Er brummt nicht, er surrt.”
Ralph Pütz, beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) für die Bussparte zuständig, würde Hartmut Bülow für diese Bemerkung keineswegs belächeln. Ob ein Fahrzeug viel Lärm macht oder wenig, wie viel CO2 es in die Atmosphäre bläst und wie es entsorgt werden kann - all das ist Teil des Ansatzes, der den Öffentlichen Nahverkehr in Deutschland in den letzten Jahren bewegt. „Ganzheitlichkeit” ist das Schlagwort. „Feinstaub, Stickoxide, Klimawandel, Geräusche, Verbrauch, Erdölknappheit - alle diese Diskussionen der letzten Jahre geben uns die übergeordnete Zielsetzung vor, wenn wir über Buskonzepte reden”, sagt Ralph Pütz.
Für den O-Bus in Eberswalde ist das eine Chance. Vielleicht die letzte. „Vor fünf Jahren hätte ich wahrscheinlich gesagt, der O-Bus ist tot, heute bin ich anderer Meinung”, sagt Frank Wruck,
Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft (BBG) in Eberswalde, die den O-Bus betreibt. In dem Setzkasten in seinem Büro hat Wruck an die hundert Modelle von Bussen gesammelt - auch O-Busse, aber nicht nur. „Ich
würde mich nicht als O-Bus-Fan bezeichnen”, sagt Wruck. Wruck ist niemand, der nostalgisch an einer völlig veralteten Technologie hängen würde, nur um der Tradition willen. Er ist Geschäftsführer, er denkt ökonomisch. Und aus seiner wirtschaftlichen Kalkulation heraus, sieht er eine Zukunft für den O-Bus, unter den Koordinaten steigender Dieselpreise und erhöhter Umweltstandards.
Ralph Pütz vom VDV hat für den O-Bus zwar sechs bis acht Cent Mehrkosten für den Kilometer im Vergleich zum Dieselbus errechnet, aber er bescheinigt ihm auch frühe Fortschrittlichkeit: „Der Trolleybus ist ein Wegbereiter des elektrischen Antriebs auch für andere Busse”.
Was die Abgase angeht, gibt es beim O-Bus zwei Wahrheiten: In Eberswalde fahren die O-Busse abgasfrei. Allerdings wird natürlich bei der Gewinnung des Stroms - zum Beispiel in Kohlekraftwerken - CO2 ausgestoßen. Daher gilt: „Je umweltfreundlicher der Strommix wird, desto umweltfreundlicher wird der O-Bus”, so Pütz.
BBG-Geschäftsführer Wruck hofft nun darauf, das zumindest noch eine Generation O-Busse durch Eberswalde rollt. Die jetzige Flotte ist 1993 und 1994 angeschafft worden und hat bald ihre Höchstlebensdauer erreicht. Erst vor einem Jahr hatte der Kreis Barnim nach langem Hin und Her beschlossen, das O-Bus-Netz mindestens noch acht Jahre weiterzubetreiben.
„Unser Ziel ist es am 3. November 2010, zum 70-jährigen Jubiläum des O-Bus den ersten neuen O-Bus auf die Strecke zu schicken”. Zwölf neue Busse brauchen die Eberswalder insgesamt. Was aus diesem Ziel wird, ist noch unklar. Ein Förderantrag beim Bundesministerium für Umwelt ist gestellt. Einen Kommentar, ob der O-Bus unter die ausgelobte Förderung für Hybridfahrzeuge fällt, gibt es noch nicht.
Von der staatlichen Förderung zur Energiewende im Busverkehr hat schon eine andere Stadt in Ostbrandenburg profitiert. 2002 gewann die Stadtverkehrsgesellschaft Frankfurt (Oder) eine Ausschreibung des Umweltministeriums zur Anschaffung der „saubersten Busflotte” Deutschlands. Seit 2003 fährt der Frankfurter Fuhrpark aussschließlich mit Erdgas. Bis Oktober diesen Jahres haben die Busse über sechs Millionen Kilometer
zurückgelegt.
Michael Ebermann, Geschäftsführer der Stadtverkehrsbetriebe, ist rundrum zufrieden. Über 450000 Euro wurden bisher an Kraftstoffkosten eingespart, hat er sich gerade ausrechnen lassen - was bei den Verkehrsbetrieben voll zu Buche schlägt, da viele Festkosten durch Förderungen abgedeckt wurden. Hoch war aber vor allem auch der Imagegewinn. „In den letzten Jahren sind wir von Kongress zu Kongress gefahren, von Messe zu Messe und haben Delegationen aus ganz Europa empfangen”, sagt Ebermann.
Erdgas ist populär - und dennoch umstritten. Kann es ohne Subventionen bestehen? Wie hoch sind die ökologischen Gewinne gegenüber anderen Technologien? Auf diese Fragen gibt es konträre Antworten. Ebermann sieht Erdgas als „Brückentechnologie”, die für zwei bis drei Generationen Fahrzeuge ein gute Aussicht bietet.
Ralph Pütz vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen ist kein Erdgas-Fan, er setzt auf Hybridisierung, die Kombination von Elektro- und Dieselantrieb. Und in ferner Zukunft könne man die Dieselmotoren dann auch durch eine Brennstoffzelle ersetzen - eines Tages betrieben mit Wasserstoff, der nicht wie momentan aus Erdgas, sondern aus regenerativen Quellen hergestellt wird. „Aber hier sprechen wir von einer Perspektive von mindestens 20 Jahren”, sagt Pütz.
In 20 Jahren hätte in Eberswalde die nächste O-Bus-Flotte ihr Rentenalter erreicht. Frank Wruck wird oft gefragt, warum eine Technologie, die es in vielen deutschen Städten irgendwann im 20. Jahrhundert gab, gerade in Eberswalde überlebt hat. Seiner Meinung nach fährt Hartmut Bülow gerade auf dem Geheimnis entlang. Es heißt B 167. „Eberswalde ist eine Bandstadt”, so Wruck. „Es gibt eine wichtige Straße und ein bischen rechts und links davon, so kann man die Stadt relativ komplett mit zwei Linien abdecken. Wenn der Ort anders gebaut wäre, würde es hier sicher keinen O-Bus mehr geben.” Was Schade wäre - findet O-Busfahrer Hartmut Bülow am Steuer der Linie 861 .