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aus der Märkischen Oderzeitung vom 03.11.2005:
Strippenbus feiert Geburtstag
Am 3. November 1940 startete in Eberswalde die "gleislose Bahn" / Heute ältestes Netz in Deutschland
Frisch geputzt ins Jubiläum: Dirk Dornfeldt reinigt schon mal einen ŠKODA 9 Tr. Anlässlich 65 Jahre Obus in Eberswalde will die Barnimer Busgesellschaft am 12. November zu Sonderfahrten mit historischen Bussen einladen.
Eberswalde (M0Z) Dieser Tag schrieb Eberswalder Geschichte: Als am 3. November 1940 der Straßenbahnverkehr eingestellt wurde und der erste Oberleitungsomnibus die Fahrt aufnahm, sorgte die "gleislose Bahn" für einen Aha-Effekt bei den Einwohnern. Leiser als die Straßenbahn kam das Gefährt daher, zudem fuhr der Obus schneller und konnte kostengünstiger betrieben werden. Genau 65 sind seitdem vergangen - heute betreibt Eberswalde das älteste Obus-Netz in Deutschland. Überhaupt gibt es neben Eberswalde nur noch zwei Städte, nämlich Solingen und Esslingen, die den Stadtverkehr hauptsächlich per Obus abwickeln. Ein alter Hut ist der leitungsgebundene Bus damit noch lange nicht, wie Frank Wruck, Geschäftsführer der Barnimer Busgesellschaft (BBG), versichert. Das Gegenteil sei der Fall. In den Zeiten hoher Kraftstoffpreise und gefährlichem Feinstaub gehöre dem Obus die Zukunft.
Von Hans Still
Wer alte Eberswalder nach Erkennungsmerkmalen der Waldstadt fragt, kann sich auf drei Antworten einstellen. Kranbau, Zoo und Obus haben über Jahrzehnte das Identitätsgefühl der Einwohner nachhaltig geprägt. Generationen wuchsen mit dem vertrauenserweckenden Brummen der Obusse auf. Dicht gedrängt standen die Menschen morgens im Bus, um die Knirpse in den Kindergarten zu bringen und hinterher im VEB Kranbau Eberswalde pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. "Es war Wahnsinn, zu DDR-Zeiten beförderten wir bis zu fünf Millionen Fahrgäste jährlich", erinnert sich Frank Wruck.
Aufnahme aus vergangener Zeit: 25 Jahre im Dienste des Verkehrswesens wurden damals gefeiert.
Ein Phänomen war das allemal, denn Eberswalde zählte nur 50000 Einwohner. Natürlich wünschte sich jede Familie ein Auto, aber die wenigsten besaßen eins. Entscheidend für die hohe Zahl der Fahrgäste war auch die Tatsache, dass die Kasernen der Stadt nochmals rund 50000 Soldaten der Roten Armee Quartier boten, was die Planwirtschaft regelmäßig ins Schlingern brachte. "Der staatliche Planhandel ging nie auf, die Soldaten wurden einfach nicht einkalkuliert", so Wruck.
Dem damaligen Kraftverkehr bescherte dieser Umstand immer volle Zahlungsboxen, wobei Busfahren nie wieder so billig sein wird wie einst. "Die Achterkarte kostete eine DDR-Mark", gräbt Frank Wruck nach längerem
Überlegen aus seiner Erinnerung hervor. Einarmige Banditen wurden die Zahlboxen genannt, mancher opferte eine geschlossene Knopfkollektion, um das Geld zu sparen. Wer beim Schwarzfahren erwischt wurde, kam vergleichsweise glimpflich davon. 20 Mark kostete der Spaß , heute wäre das eine Straftat, das "Erschleichen von Beförderungsleistung" kosten 40 Euro. Aber auch die Fahrpreise blieben nicht stehen, die Fünferkarte kostet heute im Vorverkauf fünf Euro.
Beinahe rund um die Uhr verkehren die Eberswalder Obusse, bereits kurz nach drei Uhr morgens rüstet sich der Fahrer der Linie 861 auf dem Betriebshof für den Morgenbus, der ab 03:50 Uhr von Nordend über den Markt nach Ostend rollt. Kurz vor Mitternacht kommt der letzte Bus heim auf den Betriebshof Nordend.
15,8 Kilometer lang ist das Eberswalder Obusnetz, jährlich kommen auf dieser Distanz 850000 Kilometer zustande. Gern würde Frank Wruck die beiden Linien ausbauen, doch das funktioniert nur, wenn die BBG erheblich investiert. "Wenn ich verfolge, wie sich die Wirtschaftsstandorte in der Stadt verlagern, scheue ich mich, in neue Strecken zu investieren. Früher waren das RAW, der Kranbau oder die Chemische Fabrik starke Frequenzbringer. Heute zeichnen sich Entwicklungen im TGE ab, es gibt das Seniorenzentrum Lichterfelde, wir sehen die Entwicklung im Behördenzentrum Südend, das wir übrigens ab dem Fahrplanwechsel mit Dieselbussen anfahren werden."
Zumindest stehen aktuell keine neuen Investionen ins Haus. Die Fahrleitungen erhielten zwischen 1993 und 1998 ihren letzten Schliff, auch die Erneuerung des Fuhrparkes sollte vor 2010 kein Thema sein. "Dann müssen wir eine Grundsatzentscheidung fällen", wagt Wruck schon mal einen Blick voraus. Angesichts der EU-Normen für Feinstaub, der aktuellen Dieselpreise und der allgemeinen Abkehr von der Abhängigkeit vom Rohöl plädiert Wruck, am Obus-Netz festzuhalten. "Es ist sehr stadtprägend und trägt zur Identität bei. Mancher Eberswalder wartet sogar auf seinen Obus und lässt den dieselbetriebenen Bus abfahren." Ein klares Votum für den Obus.