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aus der Berliner Zeitung vom 03.11.2009:

An der Strippe



Von Peter Neumann

EBERSWALDE. Sie sind leise, fast unhörbar. Sie haben keinen Auspuff. Sie locken Touristen an. Und sie sind etwas ganz Besonderes. Denn nur in drei deutschen Städten fahren Oberleitungsbusse, die Obusse. Lange sah es so aus, als müssen die Obusse auch aus Eberswalde verschwinden - der einzigen Stadt im Osten, wo es das ungewöhnliche Verkehrsmittel noch gibt. Doch jetzt sind die Konzessionen für die beiden Linien bis 2034 verlängert worden - und morgen will der Aufsichtsrat der Barnimer Busgesellschaft (BBG) den Kauf von zwölf neuen Obussen nach einer europaweiten Ausschreibung besiegeln. Kosten: 8,5 Millionen Euro.

Eberswalde ohne Oberleitungsbus?

„Das wäre schwer vorstellbar“, sagt Hartmut Bülow, der seit 14 Jahren elektrische Busse durch die lang gestreckte Stadt nordöstlich von Berlin steuert. Vor 69 Jahren fuhren erstmals Obusse durch Eberswalde und Finow, kein Obus-System in Deutschland ist älter. „Die Strippe kommt, sagen Eberswalder, wenn wir an der Haltestelle erscheinen“, erklärt Bülow. Ältere Einwohner reagieren skeptisch, wenn bei Bauarbeiten Dieselbusse die „Strippen“ ersetzen: Weil ein Bus ohne Stromabnehmer für sie kein richtiger Bus ist, müssen sie überzeugt werden, trotzdem einzusteigen.Mittlerweile hat sich Bülow daran gewohnt, dass er von Fans fotografiert wird. „Dann fahre ich schon mal etwas langsamer um die Ecke, damit das Bild gelingt“, sagt er. Besonders freut er sich über das Interesse aus dem Ausland: „Kürzlich war wieder eine Besuchergruppe aus Großbritannien da“ - der Obus bewährt sich als Tourismus-Faktor.

Frank Wruck mag es allerdings nicht, wenn der Exoten-Status zu sehr betont wird. „Im internationalen Vergleich ist der Oberleitungsbus alles andere als eine abstruse Technik“, sagt der BBG-Geschäftsführer. Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt mehr als 320 Obusbetriebe, die sich auf fast 50 Staaten verteilen. „Als ich im Urlaub in San Francisco war, fand ich es beeindruckend, wie viele Obusse dort unterwegs sind“, sagt die BBG-Marketingchefin Mandy Kutzner. Würden stattdessen Dieselbusse die steilen Straßen entlangröhren - die Anwohner könnten nicht schlafen.

Umweltfreundlich und leise

Andere Vorteile kommen auch im weniger bergigen Eberswalde zum Tragen. Energieplaner haben ausgerechnet, dass der Obus-Betrieb der Stadt jährlich 850 Tonnen Kohlendioxid erspart - von Dieselruß und Feinstaub nicht zu reden. Die Eberswalder wissen es auch zu schätzen, dass die „Strippen“-Fahrzeuge so leise sind. „Wenn ich mit dem Obus an der Ampel stehe, ist nichts zu hören“, erzählt Bülow.

Die BBG-Leute kennen natürlich auch die Gegen-Argumente. So sind die Busse in der Tat teurer - mit Verbrennungsmotor wären sie schon für die Hälfte zu haben. Und wenn der Strom in einem Kohlekraftwerk produziert wird, sieht die Ökobilanz kaum besser aus als beim Dieselbus. „Doch die längere Lebensdauer wiegt den höheren Kaufpreis größtenteils auf“, bilanziert Wruck. Ein Obus hält 15 bis 20 Jahre, ein Dieselbus verliert nach zehn Jahren deutlich an Wert. Zudem habe sich der Kreis Barnim das Thema „erneuerbare Energien“ auf die Fahnen geschrieben - und da sind E-Busse zukunftsfähiger, wie es Landrat Bodo Ihrke (SPD) formuliert.

So gibt es Ideen, mit Turbinen im Finowkanal Ökostrom zu gewinnen, so Bülow. „Dann hätten wir ein Null-Emissionen-Verkehrssystem.“ Mit den Fahrgastzahlen ist die BBG sehr zufrieden. „Unsere Obus-Linien 861 und 862 werden jährlich für fast vier Millionen Fahrten genutzt“, berichtet die Marketing-Leiterin Kutzner. Zum Vergleich: Auf den übrigen fast 40 BBG-Linien sind es nur etwas mehr. Die Modernisierung der Busflotte wird im nächsten Jahr gefeiert - mit dem 70-jährigen Bestehen des ältesten deutschen Obus-Betriebs. „Und zwar gleich zwei Mal“, wie Kutzner sagt. Am 21. August 2010 wird der Abschied der alten Flotte von 1993 und 1994 zelebriert, und am 6. November werden die ersten drei neuen Fahrzeuge mit allen Ehren empfangen. „Lange sah es nicht gut für unseren Obus aus“, sagt Bülow. Doch nun scheint die Zukunft der Eberswalder „Strippen“ erst einmal gesichert zu sein.

In Berlin bis 1973

Weltweit sind rund 40 000 Obusse unterwegs. Vielerorts sind neue Netze entstanden (zum Beispiel in Quito/ Ecuador), anderswo wird das Netz ausgebaut (z. B. in Salzburg).In Deutschland gab es einst rund 70 Obus-Betriebe, jetzt sind es noch drei: Eberswalde (gegründet 1940), Esslingen (1944) und Solingen (1952).In Berlin fuhr der letzte Obus 1973 - auf der Linie 37 zwischen Bahnhof Lichtenberg und Bürknersfelde. Im Westen Berlins fand das Obus-Finale 1965 statt. Eberswalde hat zwei Obuslinien (zusammen 37,2 km). In der Hauptverkehrszeit gibt es einen Sechs-Minuten-Takt. Im Normalbetrieb verkehren zwölf Obusse.

Informationen im Internet: www.obus-ew.de, www.dvn-berlin.de